Depression macht einsam. Nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern

München, 4. Oktober 2020 – Die Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit und betrifft mittlerweile jährlich etwa 5,3 Millionen erwachsene Menschen in Deutschland. Aber auch unter Kindern und Jugendlichen ist die Depression weit verbreitet. Dabei steht häufig die Erkrankung und der Erkrankte selbst im Fokus der Aufmerksamkeit von Behandlern, Freunden und Familie.

Tatsächlich betrifft eine psychische Erkrankung aber auch immer die nächsten Angehörigen. Sie sind es, die den Betroffenen in aller Regel begleiten, regelmäßig aufbauen und langfristig emotional und auch finanziell unterstützen. Gerade für Eltern stellt die psychische Erkrankung ihres Kindes eine besondere Herausforderung dar. Neben der Sorge um die Gesundheit des eigenen Kindes, belasten sie häufig starke Selbstvorwürfe und Zukunftsängste. Anlässlich des heutigen Europäischen Tags der Depression erzählt eine betroffene Mutter aus München, wie es ihr mit den Depressionen ihrer beiden Kinder erging und wie sie es trotzdem bisher geschafft hat, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Ihre beiden Kinder sind von Depressionen betroffen. Welche Auswirkungen hatte die Erkrankung auf Sie als Mutter? Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Ich habe mich schuldig gefühlt, habe teilweise nächtelang gegrübelt und Ursachenforschung betrieben und habe in der Rückschau tatsächlich gewisse Verhaltensmuster bei mir gefunden, die die Entwicklung der Depression, vor allem bei meiner Tochter, begünstigt haben. Der Sohn ist sechs Jahre jünger und hat das Glück, dass mich die Erfahrungen mit der Krankheit seiner Schwester befähigt haben, damit besser umgehen zu können. Dennoch habe ich in den letzten Jahren auch häufiger geweint und war teilweise verzweifelt, aber man muss stark sein für seine Kinder. Stark kann man nur sein, wenn man auch für sich selbst sorgt. Ich bin seit Anfang dieses Jahres in einem Sportverein und mache einmal pro Woche Sport. Auch ansonsten versuche ich mich mehr zu bewegen. Ich merke, dass mir Bewegung hilft.

Was war in dieser Situation die größte Belastung für Sie?

Zu erleben, dass eine Depression nicht in jedem Falle heilbar ist. Am schlimmsten waren und sind die Suizidankündigungen meiner Tochter. Die Angst, das Kind eines Tages zu verlieren, den Kampf gegen die Depression zu verlieren. Die Tochter wohnt nicht mehr zu Hause, dadurch habe ich auch nicht mehr so die Kontrolle über ihr Leben. Sie geht nicht immer ans Handy, wenn ich anrufe, sie liest manchmal auch keine Nachrichten. Wenn dann bei WhatsApp kein blaues Häkchen zu sehen ist, ist das für mich sehr belastend. Letztes Jahr konnte sie ihr damaliger Therapeut nicht erreichen. Er machte sich große Sorgen. Da er meine Nummer nicht hatte, rief er die Polizei. Über Umwege erreichte er mich dann doch noch. Und ich bin damals voller Angst zur Tochter gefahren, habe im Auto am ganzen Körper gezittert. Vor dem Haus standen schon Polizei und Rettungswagen. Sie hatte sich nichts angetan, aber dieses Gefühl, eines Tages wird sie sich vielleicht etwas antun, das ist das schlimmste Gefühl, das man sich als Mutter vorstellen kann. Und ich glaube, das können sich Eltern von nichtdepressiven Kindern nicht vorstellen, was man in solchen Momenten durchmacht.

Wie ergeht es Ihnen und Ihren Kindern aktuell?

Der Sohn ist 14, besucht die 9. Klasse im Gymnasium, es geht ihm gut. Er lenkt sich in seiner Freizeit mit Computerspielen ab, aber er verbringt inzwischen wesentlich weniger Zeit vor dem PC als noch vor zwei Jahren. Zum Glück ist er psychisch im Moment einigermaßen stabil. Er hatte aber auch einen sehr guten Therapeuten. Die Tochter ist 19, sie ist sehr labil und instabil. Sie hat häufig Suizidgedanken und sieht keinen Sinn mehr im Leben. Sie hatte bislang leider immer Therapeuten, die ihr nicht helfen konnten, wobei bei ihr die Depression auch wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei meinem Sohn.

Hatte die Corona-Krise einen Einfluss auf das seelische Befinden Ihrer Kinder und auf Sie selbst?

Der Sohn hat sich über den Lockdown gefreut. Er ist kein guter Schüler und geht nicht gern in die Schule; da kamen diese „Corona-Ferien“ ohne Schulbesuch und ohne Notendruck gerade richtig. Neben der Depression leidet er unter sozialer Phobie. Er hatte deshalb kein Problem mit den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Es kostet sehr viel Überredungskunst, ihn zum Beispiel dazu zu überreden, sonntags mal mit uns essen zu gehen. Durch die Schließung der Gaststätten hatte sich dieses „Problem“ erledigt. Er lag uns schon immer in den Ohren, dass wir doch lieber Essen bestellen sollten. Corona hat das dann möglich gemacht, zu seiner großen Freude. Die Tochter war letztlich auch froh über den Lockdown und dass nun auch ihre Freundinnen alle daheimbleiben mussten und keine Party mehr machen konnten. Denn es macht ein junges Mädchen natürlich traurig, wenn sie bei Instagram mitbekommt, wie ausgelassen gleichaltrige Mädchen am Wochenende feiern, während sie antriebs- und lustlos im Bett liegt. Ich glaube, bei ihr kam ein bisschen das Gefühl auf: „In der Pandemie sind endlich alle gleich.“ Unser zurückgezogener Lebensstil war auf einmal die Norm bzw. wurde sogar staatlich angeordnet. Die Tochter wohnt zwar nicht mehr daheim, aber ich habe sie besucht, und das war ja auch zum Glück während des ganz strengen Lockdowns möglich. Ansonsten konnten mein Mann und ich beide im Homeoffice arbeiten. Wir haben zum Glück Berufe, die nicht von der Corona-Krise betroffen sind. Auch das hat natürlich geholfen, diese Zeit besser zu überstehen.


Wir führen wegen der Krankheit der Kinder schon lange ein zurückgezogenes Leben und haben nur wenig soziale Kontakte. Depression macht einsam. Nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Viele Bekannte haben sich zurückgezogen. Klar, sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Und bevor man etwas Falsches sagt, sagt man lieber nichts. Deshalb war Corona und der damit verbundene Lockdown für uns nicht so ein großes Problem.